Ein Ort zum Leben und Lernen: Elternschaft mit Assistenz

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Wir besuchen eine alleinerziehende Mutter mit Lernschwierigkeiten und ihre Tochter, die in einer Hamburger Einrichtung für Eltern mit Behinderung leben.

Es ist 14 Uhr – im Gemeinschaftsraum des Wohn- und Assistenzangebots in der Hamburger Walter-Becker-Straße wird es trubelig. Zu dieser Zeit kommen die meisten Kinder aus der Kita zurück. In der Küche werden noch die Töpfe vom Mittagessen abgespült, aus der Spielecke pfeffern kleine Hände Bauklötze durch den Raum. Das Tandem ist eine Einrichtung der alsterdorf assistenz ost gGmbH für Familien, in denen die Eltern eine kognitive Behinderung haben. Das Konzept nennt sich Begleitete Elternschaft. Die Familien wohnen in eigenen Wohnungen innerhalb des Hauses und sind somit sowohl eigenständig, können aber rund um die Uhr Assistent*innen erreichen. Insgesamt leben elf Familien hier.

Unsere Interviewpartnerinnen sind die junge Mutter Caro mit ihrer Tochter Lara und ihrer persönlichen Assistentin Stephi. Die drei warten bereits im Gemeinschaftsraum auf uns. Die vierjährige Lara hat keinerlei Berührungsängste und will uns gleich zum Spielen animieren. Wir wollen uns aber zuerst die Wohnung der kleinen Familie anschauen, die im ersten Stock liegt. Es handelt sich um eine geräumige, gut geschnittene Zweizimmer-Wohnung mit einem Wohn-Schlafraum für Caro und einem Kinderzimmer für Lara. Wir nehmen auf dem Sofa Platz, während Lara nebenbei munter mit ihrem Plüsch-Einhorn spielt.

Caro erzählt, dass sie vor drei Jahren mit Lara im Tandem eingezogen ist. Ein Grund für diese Wahl war, dass das Tandem keine Mutter-Kind-Einrichtung ist, sondern auch die Väter hier leben können. Mittlerweile leben Caro und Lara nur noch zu zweit, der Kontakt zum Vater ist trotzdem eng.
Caro berichtet, wie schwer es für sie war, Lara - die sieben Wochen zu früh geboren wurde - unter Corona-Bedingungen im Krankenhaus zur Welt zu bringen. Auch die ersten Monate zu Hause waren für sie sehr herausfordernd, weil Lara nur sehr schlecht aß und chronisch untergewichtig war.

Für sie war der Einzug ins Tandem eine große Entlastung. Ihre Assistentin Stephi erinnert sich, dass Caro beim Einzug sehr zurückhaltend war und viele Ängste auch in ihrer Rolle als Mutter hatte. Mittlerweile fühlt sie sich aber rundum zu Hause, pflegt guten Kontakt zu den anderen Familien und hat sich auch in ihrem neuen Job als Gärtnerin bei den Elbewerkstätten gut eingefunden. „Caro ist so ein fröhlicher und offener Mensch, sie wird von allen im Haus gemocht!“

Während unseres Gesprächs wird Lara langsam unruhig, also wechseln wir die Kulisse, gehen gemeinsam in die Küche und schneiden einen Apfel auf, den Lara zufrieden vor sich hin mümmelt. „Hier machen wir jeden Montag die Abendbrotbegleitung“, erklärt Stephi. Sie ist also beim Abendessen mit dabei, bespricht währenddessen organisatorische Dinge oder Erziehungsfragen mit Caro und unterstützt sie, Lara ins Bett zubringen. Darüber hinaus gibt es noch weitere regelmäßige Termine, bei denen entweder gemeinsam draußen gespielt wird oder praktische Erledigungen, zum Beispiel Arztbesuche, Behördengänge und Einkäufe gemacht werden.

Der Apfel ist aufgegessen, es braucht eine neue Beschäftigung für Lara. Zum Glück haben wir Seifenblasen dabei – die ziehen immer bei Kindern! Lara quietscht und lacht, während ihre Mutter immer mehr Blasen im Wohnzimmer verteilt.

Das Besondere am Betreuungskonzept im Tandem ist, dass jedes Familienmitglied eine eigene Assistenz hat. So gibt es Stephi als Assistentin von Caro und eine andere Kollegin als Assistentin von Lara. „Das ist deswegen wichtig, weil Eltern und Kinder nicht immer dieselben Bedürfnisse haben“, erklärt Stephi. „Ja, zum Beispiel beim Thema Einschlafen“, lacht Caro. „Da will Lara am liebsten, dass ich mit ihr zusammen ins Bett gehe, ich will aber auch noch etwas von meinem Abend haben.“ „Hier versuchen wir Assistent*innen dann bestmöglich zwischen den Familienmitgliedern zu vermitteln“, fügt Stephi hinzu.

Das Tandem wurde vor 25 Jahren als bundesweit eines der ersten Angebote für Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihre Kinder gegründet und das Team hat somit langjährige Erfahrung in der Begleiteten Elternschaft. Die Familien werden so lange unterstützt, wie sie es brauchen, um sich gemeinsam sicher für ein noch eigenständigeres Leben zu fühlen. Dennoch gibt es auch Situationen, in denen Eltern oder das Jugendamt die schwierige Entscheidung treffen müssen, dass ein weiteres Zusammenleben mit den Kindern nicht möglich ist.

Das Tandem hat die Aufgabe, das Kindeswohl im Blick zu haben und setzt sich gleichzeitig dafür ein, das Recht auf Elternschaft und ein gemeinsames Familienleben zu fördern und zu stärken.
Ein möglicher nächster Schritt nach dem Auszug aus dem Tandem kann die Inanspruchnahme ambulanter Dienstleistungen in einer eigenen Wohnung sein.

Caro will davon aktuell noch nicht viel wissen, auch wenn die Tagesabläufe mittlerweile gut eingespielt sind. Sie fühlt sich sicherer bei der Vorstellung, dass immer jemand im Haus ist, den sie ansprechen kann, wenn Lara krank wird oder sich verletzt. Außerdem liebt sie das Gemeinschaftsgefühl. „Gerade unsere Alleinerziehenden schätzen es sehr, sich in der großen Küche zu treffen und über aktuelle Themen und Probleme auszutauschen“, erklärt Stephi. Das ist dann quasi wie ein Partnerersatz und trägt viel zur Leichtigkeit im Alltag bei.

Darüber hinaus bietet das Assistenzteam regelmäßige Freizeitaktivitäten für Eltern und Kinder an. Dazu gehört zum Beispiel ein Disco-Abend für die Erwachsenen, Ausflüge in den Wasserskipark oder auf den Reiterhof. Letzteren liebt Lara ganz besonders. „Es ist erstaunlich - sie ist so klein, hat aber gar keine Angst vor den großen Pferden“, sagt Caro stolz.

Nun wird es Lara aber doch zu langweilig, also gehen wir nach unten in den Toberaum im Keller.
Hier gibt es ein Bällebad, Stapelsteine und jede Menge Spielzeug. Lara liebt es, vom Podest in das Bällebad zu hüpfen oder sich und andere zu verkleiden. Ihr Gesicht spiegelt die pure Lebensfreude. Caro und Stephi werden voll in das Spiel integriert. Man sieht, dass die drei sehr vertraut miteinander sind und Caro sich durch Stephi bestärkt fühlt, ihre Tochter gut zu begleiten.

Die Leistungen, die im Tandem erbracht werden, basieren auf dem Konzept der begleiteten Elternschaft und werden in einem Kostenträgermix über die Kinder- und Jugendhilfe sowie die Eingliederungshilfe finanziert. Neben den alltäglichen Herausforderungen geht es auch darum, den Familien Perspektiven für ein selbstständiges und unabhängiges Leben aufzuzeigen und sie auf dem Weg dorthin so lange wie nötig zu begleiten.

Caro und Lara werden noch eine Weile im Tandem wohnen bleiben, der Alltag läuft für sie reibungslos, die Assistenz gibt ihnen Sicherheit und Struktur. Lara genießt den Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen. Die besondere Wohnsituation macht sie zu einem sehr kontaktfreudigen und lebhaften Kind.

Es ist mittlerweile 16 Uhr und die Familie freut sich auf etwas Entspannung nach Arbeit und Kita. Wir verabschieden uns von Caro, Lara und Stephi und freuen uns schon auf den nächsten Besuch im Tandem!


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