Wer will wann mit mir Zeit verbringen?

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Seit über 6 Jahren gibt es das Familienratsbüro Wandsbek. In dieser Zeit haben sich fast 90 Familien an einen Tisch gesetzt und gute Pläne in ihren turbulenten Zeiten erstellt und Lösungen für ihre Situation gefunden. Ein aktuelles Beispiel lesen Sie in diesem Text.

"Wer will wann mit mir Zeit verbringen?" Wie würdest Du reagieren, wenn Deine Nichte diese Frage stellt? Oder die Tochter Deiner besten Freundin? Oder gar Deine eigene Tochter?

Marie (8 Jahre alt) hat diese Frage gestellt an die Gäste, die sie und ihre (getrennt lebenden) Eltern zu ihrem Familienrat eingeladen haben. Marie lebt bei ihrer Mama, und die ist oft angestrengt und müde, weil sie so viel um die Ohren hat als berufstätige junge Frau. Ihren Papa sieht Marie sehr regelmäßig, der engagiert und liebevoll ist. Aber auch er hat viel zu tun in seinem Job und kann nicht jederzeit einspringen und seiner Ex-Freundin alle Herausforderungen des Alltags abnehmen.

Die Herausforderungen im Alltag waren für Maries Mutter so massiv, dass es in der Vergangenheit zu einer Krise kam, bei der sogar das Jugendamt eingeschaltet werden musste. Im Familienrat soll nun also ein Plan für die Zukunft erstellt werden, der sicherstellt, dass Marie geschützt und gut versorgt ist und die Mutter Entlastung erfährt. Maries Eltern gehen mutig und engagiert vor und laden viele Freunde und Verwandte zu ihrem Familienrat ein. Auch Marie lädt eine gleichaltige Freundin ein, damit sie beim Familienrat jemanden dabei hat, mit dem sie spielen oder malen kann, wenn es ihr langweilig oder komisch wird.

16 Personen aus dem engen Familien- und Freundeskreis versammeln sich an einem Sonntag Mittag in einem Café im Stadtteil, um gemeinsam einen Plan für die Zukunft zu machen. Alle Leute, die von Marie und ihrer Mama eingeladen wurden, sind gekommen. Jede und jeder möchte einen Beitrag leisten und präsent sein. Niemanden lässt Maries Frage "Wer will wann mit mir Zeit verbringen?" kalt.

Mit dabei sind Oma und Opa, die seit 20 Jahren getrennt sind und sich bis heute nicht begrüßen oder in die Augen schauen. Außerdem mit am Tisch ist Maries Onkel, der kein gutes Haar lässt an Maries Vater, der sich aus seiner Sicht viel zu wenig um seine Nichte kümmert. In den Wochen vor dem Familienrat haben viele Telefongespräche stattgefunden zwischen der Koordinatorin und den Gästen des Familienrats: Wann wird der Familienrat stattfinden? Worum wird es gehen? Wie muss das Treffen gestaltet sein, damit es gut wird? Wie wird der Familienrat ablaufen?

Der Familienrat an diesem Sonntag Mittag läuft in Rekordzeit ab. Nach 45 Minuten meldet sich Maries Familie bei der Koordinatorin und ruft diese in den Kreis zurück. Der Plan ist fertig. Alle Gäste waren so gut vorbereitet auf diesen Tag, dass sie ihre Ideen und Verabredungen nur zusammentragen mussten. Allen liegt es am Herzen, dass das Treffen unproblematisch, friedlich und konstruktiv verläuft.

Es gibt nun einen Wochen- und einen Monatsplan für Marie. Betreuung und Verabredungen, die teilweise eh bereits bestanden, wurden nun nochmal formal aufgeschrieben und im großen Kreis bestätigt. Es ist aber auch eine neue Verabredung dazu gekommen: Marie geht ab April mit ihrem Opa einmal in der Woche zum Kindersport.

Ob der Plan hält, was er verspricht, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Vielleicht muss er auch nochmal verändert oder angepasst werden, so wie das normale Leben ja immer Veränderungen mit sich bringt. Viele Augen wachen über die Verabredungen, und Marie und ihre Mutter wissen nun, dass sie sich auf ihre Leute verlassen können.


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