Unser UK-Fachdienst stellt sich vor

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Berrit Schwarz, Ann-Kristin Anders und Miriam Schultz sind die aaost-internen Expertinnen für das Thema Unterstützte Kommunikation (UK). Ihr Arbeitsort ist die Geschäftsstelle, doch ihr Wissen und ihre Beratungskompetenz kommen in allen Einrichtungen zum Einsatz. Im Interview mit Berrit und Miriam erfahren wir, auf welch verschiedenen Wegen UK Einzug in die Lebenswelt der Klient*innen und Mitarbeitenden erfährt und welche Potentiale sich hinter UK verbergen.

Nochmal für alle (Neu-)Einsteiger*innen: Was genau versteht ihr unter UK?

Miriam: UK richtet sich an Menschen, die sich nicht oder nur eingeschränkt per Lausprache äußern können. Diese unterstützen wir durch verschiedene Hilfsmittel und ermöglichen Ihnen so im besten Fall mehr Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Miteinander. Dabei geht es eben nicht nur um Äußerungen wie „Ja“, „nein“, „bitte“ oder „danke“, sondern auch um Smalltalk bis hin zu ganzen Erlebnisberichten.

Berrit: In der alsterdorf assistenz ost benötigen ca. ein Viertel unserer Klient*innen Unterstützung dabei, sich auszudrücken. Es profitieren aber weitaus mehr Menschen von UK, zum Beispiel die Mitbewohner*innen. Einige Mitarbeiter*innen nutzen UK bereits sehr aktiv und mit Leidenschaft, für andere es ist das Thema hier und da noch mit Hemmungen verbunden.

 

Welche Hilfsmittel gehören klassischerweise zu UK?

Berrit: Es gibt natürlich die große Welt der Symbole – die bekanntesten sind die Metacom-Symbole und nicht zu vergessen, die Schriftsprache. Einige unserer Klient*innen können zwar nicht sprechen, wohl aber lesen und schreiben.

Miriam: Dann gibt es natürlich noch Gebärden, visualisierte Abläufe, also beispielsweise Kalender und Dienstpläne sowie technische Hilfsmittel, wie einen Talker, eine Sound-Taste oder ein sprechender Stift. Am anderen Ende der Skala stehen dann abgefahrene Dinge wie der Motion Composer oder die Tover Tafel, mit denen man per Bewegung Lieder komponieren bzw. verschiedene Spiele spielen kann.

Berrit: Oft vergessen wir beim Thema UK aber auch ganz basale Kommunikationsformen, wie Gesten, Mimik oder auch die Atmung und Muskeltonus, die sich verändert, wenn wir aufgeregt sind.

 

Wie findet man heraus, welches Hilfsmittel für wen am besten geeignet ist?

Miriam: Am besten können das diejenigen beurteilen, die tagtäglich mit den Klient*innen zusammenarbeiten, also die Assistent*innen. Wir bilden Multiplikatorinnen aus, die gezieltes UK-Fachwissen in die Wohnhäuser und Tafös tragen und dort idealerweise an ihre Kolleg*innen weitergeben. Darüber hinaus beraten wir die Teams aber auch unabhängig von den Multiplikator*innen zu den UK-Bedarfen einzelner Klient*innen.

Berrit: Das Angebot an Hilfsmitteln wächst ständig, wir versuchen uns hier stets auf dem neuesten Stand zu halten. Oft stimmt aber der erste Impuls der Kolleg*innen – z.B.: „Ich glaube, Gebärden wären eine gute Unterstützung.“ Dem gehen wir dann erstmal nach und evaluieren im Prozess immer wieder die Fortschritte des Klienten/ der Klientin.

Wie genau läuft die Multiplikator*innen-Ausbildung ab?

Berrit: Die Ausbildung ist selbstverständlich freiwillig und läuft insgesamt über ein Jahr. Alle zwei Monate gibt es dabei ein Modul zu einem bestimmten UK-Oberthema, zum Beispiel: Visuelle Hilfen. Wir sind bereits beim 5. Durchlauf der Multiplikator*innen-Schulung und stellen fest, dass das Basiswissen bei den Einsteiger*innen immer breiter wird. Das bedeutet für uns, dass das Multiplikator*innen-Konzept sich bewährt. Ziel ist es, dass die Multiplikator*innen ihr erworbenes Wissen in ihr Team tragen. Im Idealfall gibt es irgendwann sogar zwei Multiplikator*innen pro Einrichtung, damit das Wissen nicht vollständig verloren geht, wenn ein*e Mitarbeiter*in ausscheidet.

Sollte sich jede*r Mitarbeiter*in mit UK auskennen?

Berrit: Das wäre wünschenswert! Einzelkämpfer in den Organisationseinheiten haben es ganz schön schwer. Auch deshalb gibt es ja große ESA-weite Kampagnen wie das Zeig-mal-Plakat, das allen Mitarbeiter*innen auf übersichtliche Weise die wichtigsten Gebärden und Symbole zeigt. Aktuell wird UK noch viel zu oft als isolierte Kompetenz betrachtet – dabei ist der Sinn und Zweck, dass UK in allen Alltagsbereichen genutzt wird. Darum gibt es zum Beispiel auch schon Kooperationen mit dem Nachbarschaftszirkel. Hier soll UK perspektivisch ganz selbstverständlich Teil der regelmäßigen Zusammenkünfte sein.

Miriam: Junge Mitarbeiter*innen lernen mittlerweile die UK Basics schon in der Ausbildung und sind dem Thema deshalb häufig offener gegenüber eingestellt. Die verschiedenen Methoden und Ansätze gibt es schon lange - nur werden sie heute unter dem Dach UK gebündelt, wodurch man hofft, das Bewusstsein für diese Themen zu schärfen.

Berrit: Manche Kolleg*innen tun sich verständlicherweise schwer damit, sich an die Themen Gebärden oder technische Hilfsmittel heranzutrauen. Diese Hemmschwellen versuchen wir bei den Schulungen abzubauen. Viele denken tatsächlich, dass UK das Erlernen der Lausprache behindert. Tatsächlich gibt es aber viele Beispiele, in denen Klient*innen gerade durch die Anwendung von UK ihr lausprachliches Vokabular mehr und mehr ausgebaut haben. Ein Klient hat mit über 60 Jahren noch ganz neue Wörter gelernt. Das ist ein Wahnsinns-Erfolg!

 

Welche Angebote gibt es noch neben der Multiplikator*innen-Ausbildung?

Miriam: Wir bieten auf Nachfrage gerne gemeinsame Teamtage an. Hier gibt es sowohl Input für Einsteiger*innen als auch fortgeschrittene Mitarbeiter*innen.

Berrit: Wir kommen dann zu den Teams und bringen ganz viel Material mit, damit man einfach mal ausprobieren kann. Bei den Teamtagen machen wir auch konkrete Interventionsplanungen, das heißt, wir besprechen reale Fälle und gehen mit konkreten Lösungen auseinander – manchmal lassen wir die benötigten Hilfsmittel dann sofort da.

Miriam: Darüber hinaus bieten wir auch offizielle Workshops an. Diese Kurse sind super praxisorientiert. Es gibt keine lange Vorrede, sondern wir steigen gleich mit ganz konkreten Methoden ein. Man kann alle Hilfsmittel selbst ausprobieren und schauen, welches sich für die eigenen Klient*innen eignen könnte.

Berrit: Außerdem unterstützen wir auch bei der Beantragung von Hilfsmitteln über die Krankenkassen. Wir wünschen uns, dass sich Mitarbeitende immer zunächst an uns wenden und die Sachen erstmal von uns leihen. Ist ein Hilfsmittel bereits ausführlich in der Praxis getestet worden, ist auch die Antragsgenehmigung wahrscheinlicher.

Was begeistert euch persönlich an UK?

Miriam: Irgendwann kommt man an den Punkt, wo man sich fragt, wie es jemals ohne funktioniert hat. Ich habe lange in der Assistenz gearbeitet und bin immer wieder an kommunikative Hürden geraten, an denen ich nicht mehr weiterwusste. Jetzt habe ich viele Aha-Effekte, weil ich eine ganz andere Perspektive auf das Thema Kommunikation habe. UK sorgt einfach für mehr Verständnis und weniger Frust auf beiden Seiten. Es geht uns auch nicht darum, standardisierte UK-Hilfsmittel zu nutzen, sondern allgemein Kommunikation zu fördern. Jeder Mensch, auch der, der nicht über Lautsprache verfügt, hat seinen eigenen Schnack.

Berrit: Es ist niemals das Ziel, die individuelle Sprache zu verändern. Das ist so, als würde ich dich zwingen, ab jetzt nur noch Bayrisch zu reden. Viel wichtiger ist, dass ich deine Sprache verstehe und du meine. Natürlich ist es sinnvoll, den persönlichen Wortschatz irgendwo zu dokumentieren, damit auch andere Mitarbeitende sich mit dem Klient/ der Klientin unterhalten können.

Miriam: Menschen sind so individuell - es geht bei UK vor allem um Kreativität. Einer unserer Multiplikatoren hat beispielweise ein Glücksrad gebaut, an dem er selbst und die Klient*innen einen Heidenspaß hatten. Es muss nicht immer kompliziert oder pädagogisch wertvoll sein. Manchmal ist ein guter Einstieg in das Thema UK auch eine Taste mit Pups-Geräuschen oder eine Sammlung von Schimpfwörtern – was immer die Kommunikation anregt, ist erlaubt! Und es ist schön zu sehen, wie durch das Anwenden von UK mehr und mehr der individuelle Charakter der Klient*innen zum Vorschein kommt.

Berrit: Wir dürfen auch die Hintergründe der Klient*innen nicht ganz vergessen. Gerade das ältere Stiftungsklientel ist nicht unbedingt daran gewöhnt, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Da gab es seit Jahren nur Käsebrot und Früchtetee und plötzlich soll selbst entschieden werden, was ich essen möchte. Das ist für manche immer noch überfordernd. Da geht es dann nicht nur darum, sich verständlich auszudrücken, sondern überhaupt erstmal zu realisieren, dass man eine Wahl hat.

 

Vielen Dank für die spannenden Einblicke!


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