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Birgit Busch arbeitet seit 30 Jahren bei der alsterdorf assistenz ost gGmbH bzw. der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Von Anfang an ist die direkte Arbeit mit Klient*innen ihre Leidenschaft. Einen Wechsel in eine andere Position hat sie niemals angestrebt. Dennoch hat sie sehr viel Wandel innerhalb der Stiftung erlebt und selbst aktiv mitgestaltet. Im Interview erzählt sie unter anderem, warum ihr die Begleitung von Menschen mit Behinderung liegt und was sie bei ihrem Arbeitgeber hält.
30 Jahre bei der Stiftung! Das ist eine ganz schön lange Zeit. Mögen Sie ein bisschen über Ihre Arbeit erzählen?
Ich begleite Menschen mit Lernschwierigkeiten und psychischen Erkrankungen. Das Besondere ist, dass mein Team und ich Assistenz im eigenen Wohnraum erbringen. Das ist im Prinzip das Gegenstück zu einer „stationären“ Einrichtung, in der rund um die Uhr Mitarbeitende vor Ort sind. Wir haben feste Besuchs- und Beratungszeiten, in denen wir mit unseren Klient*innen sprechen, ihnen helfen, ihren Alltag zu organisieren und praktische Erledigungen machen. Dazu gehören zum Beispiel Arztbesuche, Behördentermine, Haushaltsarbeiten und Einkäufe. Außerdem organisiere ich manchmal Ausflüge zu zweit oder als Gruppe.
Das klingt ziemlich selbstbestimmt…
Ist es auch. Es gibt keine Notdienste und keine Wochenendschichten. Jede*r Kolleg*in im Team bestimmt seine Einsatzplanung individuell in Absprache mit den Klient*innen. Dafür muss man natürlich gut organisiert sein. Ich bin oft den ganzen Tag mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs und muss überlegen, wie ich alles gemanaged kriege. Aber ich liebe es, viel unterwegs zu sein. Es gibt mir (sehr viel) Freiheit. Auch, wenn es im Winter manchmal ungemütlich ist (lacht).
Welche Ausbildung haben Sie gemacht?
Ich bin gelernte Erzieherin und habe nach meinem Abschluss an verschiedenen Schulen gearbeitet. Die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung lag hier schon immer im Fokus. Das hat sich irgendwie durchgezogen. Ich habe mich dann entschieden, ein Studium der Sozialpädagogik mit Schwerpunkt Behindertenpädagogik anzuhängen. Eine Kommilitonin hat mir damals die Evangelische Stiftung Alsterdorf empfohlen. So habe ich ab 1992 angefangen, hier zu arbeiten und das – damals noch – Team Rahlstedt mit aufgebaut. Das war eine tolle Zeit mit großartigen Kolleg*innen. Wir waren zu dieser Zeit komplett selbst organisiert, das Konzept von Teamleitungen gab es in dieser Form noch nicht. Heute scheint es unvorstellbar, dass das überhaupt funktioniert hat. Aber wir waren einfach ein gutes Team und sind es zum Glück noch heute.
Wie hat sich das Team in den dreißig Jahren weiterentwickelt?
Nun, wir haben sehr viel Umstrukturierung miterlebt. Am Anfang gab es noch kein Konzept von Dörfern oder eine Unterscheidung zwischen den Gesellschaft alsterdorf assistenz ost und – west. Wir waren ein kleines Team mit sechs Kolleg*innen. Ich habe anfangs mit drei Klient*nnen angefangen die sehr viel Stunden zur Verfügung hatten. Das ist kaum noch vorstellbar. Zwischenzeitlich ist unser Team auf 23 Mitarbeitende gewachsen, aktuell sind es 17. Auch inhaltlich hat sich die Arbeit sehr gewandelt, vor allem seitdem wir den Bereich Ambulante Sozialpsychiatrie (ASP) mit abdecken. Seit 2008 betreuen wir also nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch mit psychischen Beeinträchtigungen. Diese haben mich auf eine völlig neue Art herausgefordert.
Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit mit Menschen mit Behinderung von der Begleitung psychisch Erkrankter?
Das ist eine sehr schwierige und komplexe Frage. Ich kann nur aus meiner eigenen Perspektive sprechen. Für mich ist es herausfordernder, da ich mich u-a. persönlich stärker abgrenzen muss. Viele psychische Krankheitsbilder und -geschichten können einem persönlich schon sehr nahe gehen. Da muss man lernen, gut auf die eigene mentale Gesundheit aufzupassen. Beispielsweise haben Menschen mit einer Depression oft wenig Antrieb und können zwar benennen was ihnen wichtig ist, es nur mit entsprechender motivierender Assistenz umsetzen. Da braucht man Geduld und Empathie aber auch Klarheit und Struktur. Die braucht man für Menschen mit Behinderung zwar auch, aber es kommt gefühlt mehr von ihnen zurück, da sie mit anderen Menschen leichter im Kontakt sind. Deshalb bin ich froh, nicht ausschließlich mit psychisch Erkrankten zusammenzuarbeiten, sondern sehr unterschiedliche Klient*innen mit unterschiedlichen Bedarfen zu betreuen.
Inwiefern haben Sie sich auf die Arbeit mit psychischen Erkrankungen vorbereiten können?
Ich habe eine sozialpsychiatrische Zusatzausbildung gemacht. Über diese Möglichkeit, für die ich damals sogar Bildungsurlaub eine bezahlte Freistellung genehmigt bekommen habe, bin ich meinem Arbeitgeber bis heute dankbar. Es war eine tolle Förderung und Anerkennung meiner bisherigen Arbeit.
Haben Sie je darüber nachgedacht, eine Führungsposition zu übernehmen?
Nicht wirklich. Irgendwie war eine Leitungsposition nie meins. Mit meinem Studienabschluss und meiner langen Berufserfahrung hätte ich den Posten sicher stemmen können. Aber ich denke, mir liegt eher der direkte Kontakt zu Klient*innen als administrative Aufgaben. Auch im Wohnhaus hätte ich mich wahrscheinlich weniger wohlgefühlt als hier im Team Wandsbek. Die Klient*innen, die ich betreue, sind weitgehend autonom und nehmen meine Dienste vollkommen freiwillig in Anspruch.
Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?
Die entscheidende Frage, die bei jeder Assistenzbeziehung am Anfang steht ist: Was will der Mensch eigentlich? Auf Grundlage der Antwort kann man dann gemeinsam Ziele herausarbeiten und diese Stück für Stück in Angriff nehmen. Es ist wichtig zu respektieren, dass jeder Mensch ein Individuum ist und andere Ziele und Fähigkeiten hat als sein Gegenüber. Eine Klientin hat das mal sehr schön wie folgt zusammengefasst: „Jeder wird so gebraucht, wie er ist.“ Außerdem ist es mir wichtig, regelmäßig auch das soziale Umfeld meiner Klient*innen zu evaluieren und einzubeziehen. Gerade ältere Menschen leben oft zurückgezogen und haben weniger Elan, sich in ihrem Stadtteil zu bewegen. Hier suche und plane ich zusammen mit ihnen passende Gruppen- und Beschäftigungsangebote. Es macht mir sehr viel Spaß, verschiedene Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.
Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit?
Neben den Tätigkeiten an sich schätze ich vor allem mein Team und unsere Leitung. Es gab in all den Jahren, in denen ich hier arbeite, nicht einen Mobbingvorfall. Egal, welche Hürden man selbst gerade nehmen musste, es gab immer die Möglichkeit, dies im Team zu besprechen. Es gibt sehr viel Verständnis und Unterstützung unter uns Kolleg*innen. Und das, obwohl wir alle total verschiedene Persönlichkeiten sind. Ich schätze das sehr, weil wir uns ideal ergänzen. Jeder tut eben das, was er am besten kann, und wofür er gebraucht wird.
Gab es in Ihrer Laufbahn besondere Erfolgserlebnisse, auf die Sie noch heute stolz sind?
Es gibt viele kleine Erfolgserlebnisse im Alltag. Das macht die Arbeit so motivierend. Besonders bemerkenswert finde ich es, wenn es ein*e Klient*in aus eigener Kraft schafft, eine Sucht wir Alkoholismus zu bewältigen. Das ist in meiner Zeit dreimal vorgekommen und hat mich sehr stolz gemacht.
Was wünschen Sie sich für Ihre kommenden Arbeitsjahre?
Ein paar neue junge Mitarbeiter*innen wären toll. Ich finde es schade, dass es so schwierig zu sein scheint, junge Menschen für diese Arbeit zu begeistern. Das Thema Fachkräftemangel ist ein strukturelles Problem, dem die Stiftung sich annehmen muss. Das ist ein Thema, was uns die nächsten Jahre noch stark begleiten wird. Die Mitarbeitervertretung der alsterdorf assistenz ost macht in meinen Augen großartige Arbeit. Ich hoffe, dass dies so bleibt. Ich freue mich, wenn wir nach den harten Corona-Jahren als Gesellschaft wieder mehr zusammenrücken und uns häufiger darüber austauschen, was in anderen Einrichtungen und auf der Führungsebene passiert. Ansonsten hoffe ich einfach, kräftemäßig weiterhin so einsatzfähig zu bleiben wie heute und auf ein Team, das sich gegenseitig weiterhin unterstützt.
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