„Jeder Mensch verdient es, würdevoll dargestellt zu werden!“

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Norman Ulloa Jerez ist Mitarbeiter im Wohnhaus Edwin-Scharff-Ring. Neben seiner Tätigkeit in der Eingliederungshilfe fotografiert er leidenschaftlich gerne Menschen. Eine Auswahl seiner Porttraitfotos werden ab dem 2. September im Bovetreff (Bovestraße 9) ausgestellt. Im Interview mit dem Künstler erfahren Sie mehr über das Projekt.

Ihre Fotoreihe von Klient*innen hat etwas künstlerisch sehr Bewegendes. Wie kam es zu den Aufnahmen?

Die Fotografie ist seit einigen Jahren meine große Leidenschaft! Sie ist ein Ausgleich zu meiner Arbeit im Schichtdienst. Ich liebe es, Menschen zu fotografieren – die Klient*innen sind die perfekten Modelle (lacht).

Obwohl die meisten wohl nicht unbedingt den objektiven Kriterien eines Models entsprechen?

Für mich hat jeder Mensch etwas Schönes. Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Schönheit durch meine Bilder sichtbar zu machen. Menschen mit Behinderung würdevoll darzustellen ist etwas, dass bei klassischer Reportage-Fotografie nicht immer gelingt. Ich kenne die Menschen, die ich fotografiere, sehr gut. Ich weiß Bescheid über ihre Eigenarten und was sie bewegt. Wenn ich diese Menschen abbilde, versuche ich, sie so zu zeigen, wie ich sie – mit all dem Hintergrundwissen über sie - wahrnehme.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Ich habe vor einigen Jahren eine Weiterbildung zum Mediengestalter gemacht. Ich verstehe also auch ein wenig was von Web- und Grafikdesign. Bislang ist die Fotografie allerdings mehr ein Hobby. Ich habe einige Bekannte, die freiberuflich als Fotograf*innen arbeiten. Für mich wäre das aktuell nichts. Fotografie ist für mich eine Kunst, ein Ausdruck meiner Kreativität – keine Auftragsarbeit, die ich ausführe.

Seit wann arbeiten Sie bei der alsterdorf assistenz ost gGmbH?

Seit Mitte 2021. Davor war ich aber schon zehn Jahre in einem Pflegeheim und in der Neurologie tätig. Eigentlich bin ich aber Pharmazeut (lacht). Ich habe Pharmazie in meinem Heimatland Nicaragua studiert. Aber mein Abschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt. Ich habe dann noch eine Weiterbildung in Molekularbiologie drangehängt und bin schließlich auf Umwegen in der Pflege gelandet. Das Leben nimmt manchmal unerwartete Wege.

Was hat Sie nach Deutschland verschlagen?

Ich bin vor 15 Jahren durch ein Stipendium nach Hamburg gekommen. Mein damaliger Fußballverein hatte eine Partnerschaft mit dem FC St. Pauli. Auf diesem Weg bin ich nach Deutschland gekommen und habe hier zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Ich habe zwischendurch noch einige Jahre in Magdeburg, Leipzig und Bremen gelebt. In Magdeburg habe ich zum Beispiel meinen Sprachvorbereitungskurs gemacht. Aber es hat mich irgendwie zurück nach Hamburg gezogen.

Was gefällt Ihnen an Hamburg?

In Hamburg sind die Menschen meiner Erfahrung nach am offensten und freundlichsten – vor allem gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. Wobei das immer noch relativ zu betrachten ist. Der größte Unterschied zu Nicaragua ist in meinen Augen, dass man in Deutschland aktiv auf Menschen zugehen und sie um Hilfe bitten muss, während es in Leon - meiner Heimatstadt - umgekehrt läuft.

Haben Sie darüber nachgedacht, in Ihre Heimat zurückzukehren?

Natürlich. Aber aktuell bin ich glücklich in Hamburg. Ich verdiene genug Geld, um meine Familie in Nicaragua unterstützen zu können. Außerdem lebt meine 17-jährige Tochter seit drei Jahren bei mir. Wenn sie fertig mit der Schule ist, will sie in Deutschland Medizin studieren.

Stört es Sie manchmal, dass Sie Ihren gelernten Beruf in Deutschland nicht ausüben können?

Manchmal denke ich darüber nach, dass mein Status in Nicaragua – mit Studium und diversen Weiterbildungen – ein ganz andere wäre als hier. Gleichzeitig habe ich in Deutschland völlig andere Möglichkeiten, mich zu entfalten. In Nicaragua wird man in eine bestimmte Schicht hineingeboren und bleibt in der Regel auch dort. Es geht mir dabei aber nicht um ein Höher, Schneller, Weiter, sondern um die Freiheit, so zu leben, wie ich es möchte.

Besuchen Sie Ihre Familie oft?

In den letzten fünfzehn Jahren war ich nur ein einziges Mal zu Hause. Wir hatten vor einiger Zeit ein Familientreffen geplant, aber dann kam Corona dazwischen.

Gab es in den letzten Jahren noch andere Fotografie-Projekte?

Ich war tatsächlich vor einigen Jahren als Portrait- und Reportage-Fotograf für ein Spendenprojekt in Rumänien. Das war sozusagen mein erster offizieller Auftrag für die Stiftung. Danach gab es noch weitere Projekte, zum Beispiel für eine Tagesförderstätte in Bergedorf.

Und wie geht es weiter mit der Kunst?

Da mache ich mir gar keinen Druck. Ich glaube an mich und meine Arbeit und nehme an, was kommt!

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!

Hinweis: Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir an dieser Stelle leider keine weiteren Fotos aus der Portrait-Reihe veröffentlichen. Wenn Sie interessiert sind, schauen Sie sich die Bilder gerne live in unserem Treffpunkt in der Bovestraße 9 an! Am 2. September (14:00 - 17:00 Uhr) findet hier die offizielle Einweihungsfeier der Räumlichkeiten statt.


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